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Lehrerpersönlichkeit, Identität und Glaube im Kontext von Schulpastoral

 

1. Im Spannungsfeld unterschiedlichster Erwartungen

Wer im Rahmen von Schule und Kirche schulpastoral wirkt, sieht sich vielfältigen Erwartungen ausgesetzt.

  • Ein/e Schulleiter/-in erwartet z.B., dass die Schule durch schulpastorale Aktivitäten und entsprechende Zeitungsberichte sich öffentlich als gute Schule darstellt oder dass "etwas an der Schule geschieht", ohne aber zu viel "Unruhe" oder Konfliktpotential zu fördern.
  • Lehrer/-innen an der konkreten Schule wünschen sich z.B. Unterstützung in ihren Bemühungen oder Entlastung in ihren Frustrationen oder Zeit für ein nettes Gespräch oder sie möchten in Ruhe gelassen werden.
  • Eltern erwarten z.B., dass ihre Kinder neben einem möglichst erfolgreichen Abschneiden in der Schullaufbahn Unterstützung und qualifizierte Betreuung erleben, für den späteren Beruf "Schlüsselqualifikationen" erwerben oder dass möglichst vielfältige Angebote (am besten kostenlos) zur beaufsichtigten Freizeitgestaltung gemacht werden.
  • Die Vertreter des Staates erwarten z.B., dass im Rahmen von Religionsunterricht und Schulpastoral ein Zugang zu europäischer Kultur ermöglicht wird, Werteerziehung geleistet wird sowie Grenz- und Sinnfragen beantwortet werden.
  • Die Verantwortlichen der Kirche erwarten z.B. Übereinstimmung mit der Lehre und den Grundsätzen der katholischen Kirche sowie eine persönliche Lebensgestaltung nach diesen Grundsätzen. Der nachfolgenden Generation soll "Glaubenswissen" vermittelt werden sowie Lebensbewältigung aus dem Glauben heraus angeboten werden. Kinder und Jugendliche sollen motiviert werden, sich für Glaube und Kirche zu engagieren. Dabei wird die persönliche Vorbildfunktion der Lehrkraft bzw. des pastoralen Mitarbeiters hervorgehoben.
  • Der zuständige Gemeindepfarrer erwartet z.B., dass die Religionslehrerin einen persönlichen Bezug zur Gemeinde hat und dass sie Schüler an den Gottesdienst und die Aktivitäten der Gemeinde heranführt.
  • Schüler und Schülerinnen erwarten z.B. persönliche Glaubwürdigkeit und Verständlichkeit, Bezug zu ihrer Lebensrealität, Umgang mit Kritik an der Kirche, Verständnis für ihre Lebens- und Glaubensprobleme und sie wünschen sich, dass Schule einfach mehr Spaß und Unterhaltung bietet (" fun und action").

Diese vielfältigen Erwartungen und Wünsche ( und manche mehr) soll eine ideale Lehrkraft im Kontext von Religionsunterricht und Schulpastoral neben der ganz alltäglichen Unterrichtsarbeit erfüllen. Damit sind auch Qualifikationen benannt, die es für diese Arbeit braucht.

2. Aussagen im Lehrplan "Katholische Religionslehre"

  • Im Lehrplan der bayerischen Schulen sind mit anderen Worten die vielschichtigen Dimensionen von Religionsunterricht und Schulpastoral benannt und damit auch die erforderlichen Qualifikationen derjenigen, die dies beruflich umsetzen. Exemplarisch für alle Schularten möchte ich einige entsprechende Stichworte und markante Sätze aus dem Lehrplan für die Realschule hier erwähnen:
  • Orientierung für ein gelingendes Leben; Dialogbereitschaft; Dienst an jungen Menschen; wechselseitige Erhellung von Lebenssituation und Glaube; Ermutigung, nach dem Sinn menschlicher Existenz und nach Gott zu fragen.
  • Die Schüler werden motiviert zur Ehrfurcht vor Gott und allem Leben, zur Achtung der Menschenwürde und der Freiheit der Gewissensentscheidung sowie zum Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und für die Bewahrung der Schöpfung.
  • Der Religionsunterricht fördert Einstellungen und Verhaltensweisen, die dazu beitragen, eigenverantwortlich, partnerschaftlich und solidarisch zu leben.
  • Angebote der Stille, Besinnung und Meditation, Feiern im Schulleben, Gottesdienste und Schulseelsorge, aber auch Begegnungen mit der Natur, mit Menschen und Glaubenszeugnissen der Heimat dienen der Zielsetzung des Religionsunterrichts und vertiefen die Einsicht in Lebenszusammenhänge.
  • So ermöglicht Religionsunterricht Sinn- und Selbstfindung im Leben aus den Quellen des christlichen Glaubens. (KWMBI I So.-Nr. 1/1993 S. 34)

3. Folgerungen für Qualifikationen derjenigen, die Religionsunterricht erteilen und schulpastoral tätig sind

Diese Aussagen im Lehrplan benennen gleichzeitig notwendige Fähigkeiten derjenigen, die Religionsunterricht erteilen und die schulpastoral tätig sind. Um all diesen vielfältigen Erwartungen auch nur annähernd gerecht zu werden, braucht es fachliche und personale Kompetenzen. Die persönliche Identität und der eigene Glaube sind dabei grundlegende Basis. Das Gelingen des Religionsunterrichts und der Schulpastoral wird entscheidend mit der Person der Lehrkraft verknüpft. Religion und Glaube sind ja nicht nur Gegenstand des Unterrichts, sondern bilden auch den Standort derjenigen, die ihn erteilen. Wer Religion unterrichtet oder schulpastoral tätig ist, der braucht eine Identität, die in Worten und Taten erkennbar ist.

Der Beschluss der Würzburger Synode zum Religionsunterricht (2.8.2.) hält dazu fest: "Erst in der Begegnung mit einer Person, die sich entschieden und eine Glaubensposition für sich verbindlich gemacht hat, erfährt der Schüler, dass religiöse Fragen den Menschen vor eine Entscheidung stellen."

Identität und Glaube fallen nicht eines nachts vom Himmel, sondern wachsen in einem lebenslangen Prozess. Dies zeigt die alltägliche Lebenserfahrung. Dies spiegelt sich auch in der begrifflichen Klärung und Entwicklung des Wortes "Identität".

4. Der Begriff "Identität"

E.H. Erikson verwendet den Begriff der Identität als erster im Zusammenhang damit, dass er das Jugendalter als Zeit der psychosozialen Reifungskrise beschreibt. Er skizziert einen Grundplan der menschlichen Entwicklung, in dem die psychosexuelle und psychosoziale Epigenese in einander greifen. Sowohl das Wachstum der Persönlichkeit als auch das Wachsen des Organismus lassen sich daraus erklären.

Mit der Ablösung von der Elternfamilie, die der junge Mensch im Jugendalter zu bewältigen hat, "werden alle Identifizierungen und alle Sicherungen, auf die man sich früher verlassen konnte, in Frage gestellt." (Erikson, E.H.: Jugend und Krise, Stuttgart 1980, S.106)

Dadurch verliert der Jugendliche seine an diese Sozialisationsinstanz gebundene Rollenidentität, für die Ersatz geschaffen werden muss. Die Bewältigung dieser "Identitätskrise" liegt nach Erikson im Aufbau einer neuen Identität.

Die psychosoziale Krise, in die der Adoleszent gerät, kreist um die Problematik der Identitätsfindung. Der Begriff "Identität" ist nicht leicht zu fassen. Zum einen lässt er sich mit gewonnener Ich-Stärke beschreiben, die eine Übereinstimmung all dessen vollbringt, was im menschlichen Organismus und speziell der Psyche vorgeht. Die Möglichkeit, seine Identität zu finden, ist auch bedingt durch soziale Anerkennung und vollzieht sich angesichts biologischer Vorgänge, kindlicher Sozialisationserfahrungen sowie Wert- und Rollenvorstellungen Erwachsener. Gefundene Identität erlaubt dem Individuum, sich von der übermäßigen Selbstverurteilung und dem diffusen Hass auf Andersartiges zu befreien. Je größer die Identität, desto größer die Toleranz. "Das Gefühl der Ich-Identität ist also das angesammelte Vertrauen darauf, dass der Einheitlichkeit und Kontinuität, die man in den Augen anderer hat, eine Fähigkeit entspricht, eine innere Einheitlichkeit und Kontinuität (also das Ich im psychologischen Sinne) aufrechtzuerhalten." (Erikson E.H.: Kindheit und Gesellschaft, Stuttgart 1981, S. 107)

Dabei ist für den Jugendlichen die Bestätigung wichtig, dass "sein individueller Weg der Bewältigung von Erfahrungen eine erfolgreiche Variante der Wege ist, auf denen andere Leute um es herum Erfahrungen bewältigen und die Tatsache, dass man es tut, anerkennen." (Erikson, 1980, S. 107)

Ein weiterer Definitionsversuch: Identität bezeichnet eine wechselseitige Beziehung, die sowohl ein dauerndes inneres Sich-Selbst-Gleichsein wie ein dauerndes Teilhaben an bestimmten gruppenspezifischen Charakterzügen umfasst. In Anlehnung an Eriksons Identitätsbegriff formulieren Döbert, Habermas und Nunner-Winkler Identität als " die symbolische Struktur, die einem Persönlichkeitssystem erlaubt, im Wechsel der biographischen Zustände und über die verschiedenen Positionen im sozialen Raum hinweg Kontinuität und Konsistenz zu sichern. Ihre Identifikation behauptet eine Person gleichzeitig für sich und für andere." (Döbert/Habermas/Nunner-Winkler: Entwicklung des Ichs, Köln 1977, S. 9f.) Demnach gibt es eine personale und soziale Identität. Sie "bewährt sich in der Fähigkeit, neue Identitäten aufzubauen und zugleich mit den überwundenen zu integrieren, um sich und seine Interaktion in einer unverwechselbaren Lebensgeschichte zu organisieren." (a.a.O., S. 11)

Inzwischen taucht der Begriff der Identität in zahllosen Büchern und unterschiedlichen Zusammenhängen als "Schlüsselbegriff" auf. In der Studieneinheit X der Fort- und Weiterbildung Schulpastoral der kirchlichen Arbeitsstelle für Fernstudien - Theologie im Fernkurs Würzburg setzt sich Herbert A. Zwergel auch damit auseinander. Dies brauche ich in diesem Rahmen nicht noch einmal im einzelnen wiederzugeben. Auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen Analyse in der Zeit des Übergangs von der Moderne zur Postmoderne hängt "das Gelingen des Lebens ganz wesentlich von Balanceleistungen und Identitätsarbeit der beteiligten Subjekte" ab. (Zwergel, 1998, S. 21) Im Begriff der Identität "scheint auf, wie Menschen sein wollen und auch sein sollen. Dieser Wunsch des Menschen nach Integration, Ganzheit und Heilsein, nach aktiver Gestaltung und gelingenden Beziehungen, nach Lebensperspektive und Verankerung in gelungenen Erfahrungen darf zunächst und vor allem stehen gelassen...werden..."(Zwergel, 1998, S. 22) " Gelingen des Lebens wird sicher in unterschiedlichen kulturellen und geschichtlichen Kontexten verschieden gesehen werden, die Vorstellung eines Menschenlebens in Würde und Verantwortung darf aber als ein schöpfungstheologisches Urdatum betrachtet werden.

Identität ist aber auch ein kritischer Begriff, insofern sich auf dem Hintergrund der normativen Annahmen auch eine Kritik der Verhältnisse ergibt, die Menschen daran hindern, diese eigene Lebensgestalt auszubilden." (Zwergel, 1998, S.22f.)

Der lebenslange Prozess, in der eigenen Identität weiterzuwachsen, beinhaltet die eigene Bereitschaft an sich selbst zu arbeiten und die eigene Persönlichkeit in Frage stellen zu lassen. Für eine Religionslehrerin, einen Priester, einen Pastoral- oder Gemeindereferenten, der in der Schulpastoral tätig ist, sind dabei Identität und Glaube keine Begriffe, die unverbunden nebeneinander stehen. Glaube spielt hier in der Identitätssuche eine zentrale Rolle. "In dieser Aufgabe kommen alle in der Schule zum Wohl der Kinder Tätigen überein: Wer Halt geben will, muss selbst Halt haben. Wer die eigene Identitätsarbeit nicht scheut, vermag jene wichtige Balance zwischen Ablösung/Widerspruch und zuverlässigem In-der-Nähe-bleiben zu leisten."(Zwergel, 1998, S. 30)

5. Glauben heißt: Unterwegs sein mit einer Verheißung

Identität und Glaube sind nichts Starres, das ich mir einmal erworben habe und dann nach Bedarf als etwas Festes "aus der Tasche ziehe". In dem Spruch "Glauben heißt: Unterwegs sein mit einer Verheißung" wird gleichsam in einem Motto treffend zusammengefasst, was mit einer religiös motivierten und orientierten Identitätsarbeit gemeint ist. In meiner eigenen Theologie und Glaubensgeschichte spielt die alttestamentliche Exodus-Überlieferung eine wichtige Rolle. In der Exodusgeschichte sind tiefe Erfahrungen festgehalten, die das Leben gelingen lassen. Werte wie Solidarität, Hoffnung, Freiheit, Gottvertrauen, Liebe, Glück, Gerechtigkeit, Lebenssinn, Verantwortung und letztlich im umfassenden Sinn Glaube werden in der Geschichte einer versklavten Nomadensippe mit ihrem befreienden Gott lebendig erzählt. Die Beschäftigung mit dieser Befreiungsgeschichte kann dazu anregen, an der eigenen Identität, die auch eine wesentlich religiöse Dimension hat, weiterzuarbeiten. Unterwegs sein mit einer Verheißung bedeutet auch: Ich lasse mich aus der Knechtschaft der Unmündigkeit und aus jeder Form von existenzieller Knechtschaft herausrufen und zum Aufbruch bewegen. Ein eigenes Bild vom gelobten Land motiviert als Ziel des Weges und dient der Orientierung unterwegs. Die Vorstellung vom gelobten Land wird hier gedeutet als ein "idealer Selbstentwurf", wie ich gern sein möchte und unter welchen Bedingungen ich leben will. Die Stimme Gottes spricht auf diesem lebenslangen Weg auf vielerlei Weise, unter anderem auch in der erlebten Wirklichkeit, in persönlichen und sozialen Erfahrungen, in eigener Reflexion oder in der Heiligen Schrift. Der jüdisch-christliche Glaube an den befreienden, liebenden Gott gibt der Suche nach dem je "eigenen gelobten Land" Halt und tiefen Sinn.

Bei einer Wochenendveranstaltung im Zusammenhang mit Schulpastoral und der Thematik "Identität und Glaube" sollten wir nach einer bildhaften Umschreibung für "die Behausung des eigenen Glaubens" suchen. Mir fiel als Bild ein Wohnmobil ein. Unterwegs zu sein mit einer Verheißung schließt ein mobil zu bleiben. Gleichzeitig wäre Stress völlig fehl am Platz, ständig mit dem Wohnmobil auf Achse sein zu müssen oder ständig den Standort zu wechseln. Das Wohnmobil kann auch für längere Zeit auf einem Parkplatz oder "Ruheplatz am Wasser" stehen. Zur "Behausung im Glauben" gehört für mich ebenfalls, Heimat zu erleben und Wurzeln schlagen zu können, um weiter zu wachsen. Deshalb bräuchte das Wohnmobil eine gemütliche, entspannende Atmosphäre und dürfte nicht zu beengt sein. Ein Zelt als Symbol, das mir zuerst einfiel, wäre mir deswegen zu karg und "unbequem", obwohl der Charakter des Abenteuers der Lebensreise dadurch mehr zum Ausdruck käme. Aber ich bin inzwischen halt auch schon 43 Jahre und da passt, denke ich, für mich ein Wohnmobil besser, das die Spannung zwischen Ruhe und Dynamik, zwischen Anspannung und Entspannung, zwischen Aktion und Kontemplation in guter Balance ermöglichen kann.
Welches Bild für die "Behausung Ihres Glaubens" fällt Ihnen ein?

6. Ausblick

Meines Erachtens sollten die Bemühungen in der Studienbegleitung, Ausbildung und Fortbildung verstärkt werden, Angebote für die personale Bildung von Religionslehrer/-innen zu machen. Im Wechselspiel mit der auch bis jetzt schon erfolgten fachwissenschaftlichen und theologischen Ausbildung könnte sich so noch mehr eine je eigene Theologie entwickeln, die in reflektierter Auseinandersetzung mit sich selbst, mit der Gesellschaft, der Kirche und den (geistigen) Strömungen der Gegenwart steht.

Gleichzeitig könnten die bereits in diesem Sinne vorhandenen Angebote während der Zeit des Studiums und aus dem Bereich der beruflichen Fortbildung teilweise intensiver genutzt werden. Oft steht die fachliche Qualifizierung, die eng mit der Benotung zusammenhängt, immer noch stark im Vordergrund - sowohl im Bewusstsein der "Ausbildenden" als auch bei den "Auszubildenden".

Um so mehr gilt es, gegenüber Staat und Kirche die Wichtigkeit der "Identitätsarbeit" und Befähigung zu Kommunikation und Kooperation für diejenigen zu betonen, die zu einem gelingenden Leben im Lebensraum Schule beitragen wollen.

Ulrich Geißler


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